Im September 2021 wurde in der Stadt Zürich über die Besonnungsinitiative abgestimmt. Die Volksinitiative richtete sich gegen Neubauten mit Schattenwurf auf den Grünraum am Seeufer.
Im Gemeinderat wurde die Initiative nur von den GRÜNEN und der AL unterstützt. Das Stimmvolk entschied sich unerwartet knapp dagegen (57.8 % Nein zu 42,2 % Ja). In den Stadtkreisen 1, 2, 3, 4 und 5 gab es eine Zustimmung von rund 46 %.
Zwei Grossprojekte am Seebecken gaben den Anlass zur Initiative: Ein Projekt wurde durch Baurekurse zu Fall gebracht (ZKB-Seilbahn), das andere wurde inzwischen realisiert (Neubau auf dem Areal Franz-Garage in Wollishofen).
Im Abstimmungskampf hatte der Stadtrat behauptet, dass "bereits heute die geltende Bau- und Zonenordnung die Baumöglichkeiten am Seeufer stark einschränkt". Nachdem der siebenstöckige Franz-Neubau hochgezogen wurde, wirkt diese Behauptung wie ein Hohn.
Für die Nutzenden des Seeufers ist ein Albtraum wahr geworden: Zuvor war die gesamte Wiese bis zum natürlichen Sonnenuntergang besonnt. Jetzt wirft der Betonkoloss an einem Spätsommertag schon zwei Stunden früher einen Schatten.
Der Franz-Neubau entspricht in seiner Frontlänge und Höhe ungefähr dem Buckingham Palace in London. Er bildet einen gigantischen Riegel, der das begrünte Savera-Areal vom Quartier abtrennt. Die Sichtbeziehungen vom und zum Seebecken sind auf der ganzen Länge unterbrochen.
André Odermatt, Sie haben im Jahr 2019 die Baubewilligung faktisch im Alleingang erteilt. Im Bauentscheid bescheinigen Sie dem Projekt, dass es sich «sehr gut in den Kontext in Seenähe» einordne und «keine Beeinträchtigung des Schutzwertes des Landschaftsschutzobjekts Zürichsee» zur Folge habe. Damit haben Sie Ihr Ermessen als Amtsträger offensichtlich krass missbraucht.
Andre Odermatt, Sie haben sich öffentlich noch nie zum Franz-Neubau geäussert. Wir fordern Sie auf, sich diesen Fragen zu stellen:
Anerkennen Sie, dass Sie mit dieser Baubewilligung den brutalstmöglichen Städtebau gefördert und dem Orts- und Landschaftsbild irreversiblen Schaden zugefügt haben?
Anerkennen Sie, dass Sie damit den Uferstreifen zwischen Werft und GZ Wollishofen für alle heute lebenden Generationen unumkehrbar entstellt haben?
Glauben Sie, dass Sie Ihr Amt als Hochbauvorsteher nach diesem verheerenden Fehlentscheid noch glaubwürdig wahrnehmen können?
Peter-Wolfgang von Matt, Initiativkomitee Besonnungsinitiative 2021
Warum ist das wichtig?
Stadtrat Andre Odermatt ist seit dem Jahr 2010 Vorsteher des Hochbaudepartments. In seiner über 13-jährigen Amtszeit hat er keine erkennbare eigene Vision für die Gestaltung des Seebeckens entwickelt. Er übernahm vielmehr die Zielsetzung des Stadtrats der Nullerjahre, die auf eine rücksichtslose Verbauung und Versiegelung ausgerichtet war.
Am linken Seeufer sollten Volk und Parlament über ein Jahrzehnt vom Planungsprozess ausgeschlossen bleiben.
Im Fall des Areals Franz-Garage wurden in einem jahrelangen Vorlauf die Grundlagen für ein Grossprojekt mit 68 Luxuswohnungen geschafften. Das Baugrundstück wurde im Jahr 2018 durch Aufzonung und Arealbonus sprunghaft aufgewertet. Der Hochbauvorsteher vergoldete dadurch das Immobilienportfolio einer millionenschweren Mineralölgesellschaft (A.H. Meyer Holding AG).
Mit Beschluss vom 23. August 2023 zur Schaffung einer Planungszone «Seeufer Wollishofen» macht der Stadtrat eine unerwartete Kehrtwende. Es sollen nun doch keine neuen (Wohn-)Bauten im Uferstreifen entstehen, sondern "attraktive Erholungsräume am Wasser". Für das Kibag-Areal ist es der langersehnte Durchbruch. Doch für das Savera-Areal kommt diese Einsicht zu spät.
Der Stadtrat der 2010er Jahre hat die Jahrhundertchance verpasst, das Gebiet des linken Seeufers ganzheitlich als Grün- und Freiraum zu sichern.