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An: Bundesrat und Parlament

Mehr Haus- und Kinderärzt:innen ausbilden - damit es auch morgen noch eine Grundversorgung gibt!

Es gibt viel zu wenige Haus- und Kinderärzt:innen für immer mehr Patient:innen. Die Versorgungskrise in der Haus- und Kinderarztmedizin ist da. Patient:innen finden nur noch schwer oder gar nicht mehr eine Hausärztin oder einen Kinderarzt, viele Praxen finden keine Nachfolger:innen oder führen Aufnahmestopps für neue Patient:innen ein. Es fehlt an Ärzt:innen und genügend Nachwuchs. Universitäten, Berufsverbände, Expert:innen sowie Haus- und Kinderärzt:innen aus dem Praxisalltag warnen schon seit vielen Jahren vor folgenschweren Versorgungslücken.

Hausarztmedizin kann 94 % aller Gesundheitsprobleme selbständig behandeln und verursacht dabei nur 8 % der Gesamtkosten im Gesundheitswesen. Sie ist niederschwellig, effizient und hilft Kosten zu sparen. Wenn wir die Haus- und Kinderarztmedizin nicht sofort stärken und für die Zukunft sichern, bedroht das die medizinische Versorgung der Bevölkerung und führt – aus bekannten Gründen – zu noch höheren Gesundheitskosten.
Wir fordern deshalb:

Mehr Medizinstudienplätze!
Die Anzahl an Medizinstudienplätzen muss von 1300 auf 1800 steigen - mit einem neuen Investitionspaket zugunsten der medizinischen Fakultäten an den Universitäten.

Mehr Medizinstudent:innen für die Haus- und Kinderarztmedizin!
In Zukunft müssen mindestens 50 % der Medizinstudent:innen die Haus- und Kinderarztmedizin wählen, um den künftigen Bedarf zu decken. Dafür braucht es eine stärkere und attraktivere Hausarztmedizin an den Universitäten.

Mehr Praxisassistenzstellen!
Damit alle künftigen Haus- und Kinderärzt:innen praktische Erfahrungen sammeln können und sich für den Einstieg in die Praxis entscheiden, braucht es eine Erhöhung der Zahl der Praxisassistenzstellen während der Weiterbildung von heute 280 auf neu 720.

Ein «Impulsprogramm Hausarztmedizin»!
Für all diese und weitere begleitende Massnahmen brauchen wir ein «Impulsprogramm Hausarztmedizin». In der BFI-Botschaft 2025-2028 müssen dafür zweckgebunden 200 Mio. Franken bereitgestellt werden.

Warum ist das wichtig?

Bevölkerungswachstum und steigende Nachfrage
Es braucht immer mehr ärztliche Grundversorgung. Die Schweizer Bevölkerung wächst gemäss Szenario des Bundesamts für Statistik zwischen 2021 und 2030 um etwa 8.8 %. Der Anteil der über 65-Jährigen steigt gemäss diesem Szenario von 18.9 % im Jahr 2020 auf 25.6 % im Jahr 2050. Die Hälfte der über 65-Jährigen hat heute mindestens zwei chronische Krankheiten (1), Tendenz steigend, und 17.7 % der über 75 Jahre alten Menschen in der Schweiz haben ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin in den 12 letzten Monaten fünf oder mehr Mal konsultiert (2).

System- und kostenrelevante Grundversorgung
Die Haus- und Kinderarztmedizin ist ein zentraler Pfeiler der Versorgung. Je höher die Dichte an Hausärzt:innen in einem System ist, desto besser steht es um die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung ( 3/ 4). Eine ausreichende Abdeckung durch Grundversorger:innen geht einher mit tieferer Sterblichkeit und weniger Hospitalisierungen. Im Gegenzug führt eine Unterversorgung mit Hausärzt:innen zu einer Zunahme von (teuren) Notfallkonsultationen und unnötigen Hospitalisationen. Zudem ist hinlänglich bekannt, dass hausärztliche Medizin äusserst kosteneffizient ist und über 90 % der hausärztlichen Fälle abschliessend gelöst werden.

Kritische Versorgungssituation
Die Versorgungskrise wird sich weiter zuspitzen. Das Durchschnittsalter der Haus- und Kinderärzt:innen in der Schweiz ist von 51 Jahren im Jahr 2015 auf 55 Jahre im Jahr 2020 angestiegen, der Frauenanteil betrug 2020 61 % (5). Eine Studie der Westschweizer Konsumentenorganisation FRC (6) hat 2021 ergeben, dass für einen Termin bei einem neuen Arzt in Genf durchschnittlich 2.3, in Delsberg 14.5 und in Freiburg gar 30.5 Telefonanrufe nötig waren. In Bern können 60 % der Hausärzt:innen überhaupt keine neuen Patient:innen mehr aufnehmen (7).

Sinkende Workforce pro Person
Es braucht mehr Hausärzt:innen für die gleiche Arbeit. Für jüngere und künftige Haus- und Kinderärzt:innen hat die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben hohe Priorität. 2023 wünschten sich 41 % der Hausärzt:innen eine Reduktion ihrer Arbeitszeit in den kommenden drei Jahren (die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Haus- und Kinderärzt:innen liegt bei einem Vollzeitpensum bei 55 Stunden (8). Damit verbunden ist ein Rückgang der individuellen Workforce pro Hausärztin und Kinderarzt. Das bedeutet nichts anderes als: Es braucht mehr Haus- und Kinderärzt:innen. Die Workforce-Studie 2010 hat einen Faktor von 1.7 berechnet. Gibt eine Hausärztin heute ihre Tätigkeit altershalber auf, braucht es für ihre Nachfolge sogar 2 Nachfolger:innen.

Zu wenige Ärzt:innen wählen die Grundversorgung
Viel zu wenige Ärzt:innen gehen in die Grundversorgung. Gemäss einem Bericht des Obsan müssten 50 % der Studienabgänger:innen in Medizin eine der Grundversorgerdisziplinen wählen, damit die Nachfrage an Nachwuchs gedeckt werden kann (Workforce Studie 2015). Ende 2022 waren aber nur 36 % der Mediziner:innen mit Berufsausübungsbewilligung überhaupt im Besitz eines entsprechenden Facharzttitels Allgemeine Innere Medizin oder Kinder- und Jugendmedizin (9) oder waren praktischer Ärzt:in. Das sind deutlich zu wenige. In Dänemark geht man davon aus, dass 60 % der Ärzteschaft in der Grundversorgung tätig sein muss, damit ein solches System funktioniert.

Abhängigkeit vom Ausland
Das schweizerische Gesundheitswesen ist relevant von ausländischen Fachkräften abhängig. 40% der Ärzt:innen haben ihr Diplom im Ausland erworben. Die Abhängigkeit nimmt in den letzten Jahren auch kontinuierlich zu: Aktuell wird auf ein in der Schweiz erworbenes Diplom 2.4 aus dem Ausland anerkannt und knapp 60 % der Ärzt:innen die einen erteilten und anerkannte Facharzttitel (Ärztestatistik BAG 2022), haben ihr Diplom im Ausland erworben. Die Schweiz erfüllt damit den Code of Practice der WHO 2020 (10) nicht und vestösst damit gegen ethische Prinzipien in der internationalen Rekrutierung von Gesundheitspersonal.

Quellen:
(1) Swiss Health Survey 2017 / 2022 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/erhebungen/sgb/ergebnisse-publikationen.html
(2) Swiss Health Survey 2017 / 2022 https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/erhebungen/sgb/ergebnisse-publikationen.html
(3) Starfield B. et al. (2005): Contribution of Primary Care to Health Systems and Health https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2690145/
(4) Sandvik H. et al. (2022): Continuity in general practice as predictor of mortality, acute hospitalisation, and use of out-of-horus care: https://bjgp.org/content/bjgp/72/715/e84.full.pdf
(5) Obsan 01/23: Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung – Situation in der Schweiz und im internationalen Vergleich https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2023-02/Obsan_01_2023_BERICHT.pdf
(6) Fédération romande des consommateurs: Recherche médecin, désespéreément: https://enquetes.frc.ch/medecins
(7) Workforce-Studie 2020 – 2025 (Kanton Bern): https://www.berner-aerzte.ch/fileadmin/user_upload/0_Startseite/doc.be/BEKAG_Magazin_doc_be_04-2021_d_V_Web.pdf / https://smw.ch/index.php/smw/article/view/3062
(8) https://saez.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2023.21657/ resp. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/erhebungen/sdapaz.html
(9) BAG: Statistik Ärztinnen/Ärzte 2022: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/statistiken-berufe-im-gesundheitswesen/statistiken-medizinalberufe1/statistiken-aerztinnen-aerzte.html
(10) Code of Practice WHO 2020: https://www.who.int/publications/i/item/wha68.32

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